Ein chinesisches Märchen
Vor langen, langen Zeiten, als die Menschen in China den Ackerbau noch nicht kannten und sich von Jagd und Fischfang nährten, lebten zwei Prinzen, zwei Brüder.
Der ältere war ein großer Kriegsmann. Er stürmte Festungen, eroberte Länder und machte viele Gefangene. Das Reich, das er mit seinem Schwerte schuf, bedeckte die halbe Welt und überall wurden ihm Denkmäler aus Stein und Erz errichtet.
Der jüngere Bruder wollte von Kriegen und Eroberungen nichts wissen. Seine Liebe gehörte der Erde und er lehrte die Menschen, Reiskörner zu pflanzen und zu ernten.
Der ältere Bruder lachte über ihn. "Wie sollen unsere Nachkommen den Andenken ehren", fragte er ihn einmal; "wenn du keine ruhmreichen Taten vollbringst, kein Land eroberst und keine Reichtümer sammelst?" Der Jüngere antwortete: "Es genügt mir, wenn man sich an mich als an den Prinzen Reiskorn erinnert."
"Du bist ein Narr!" rief der Ältere. "Man wird dich vergessen und mit Recht. Wir wollen in tausend Jahren wiederkommen und nachschauen, welchen von uns beiden man dann noch kennt."
Der jüngere Bruder war damit einverstanden und sie dachten an ihr Versprechen bis an ihr Lebensende.
Als nach ihrem Tod tausend Jahre um waren, trafen sie sich, wie sie es verabredet hatten wieder auf der Erde.
Und siehe da! Das Schwert, mit dem der ältere Prinz so viele Siege errungen hatte, war verrostet, sein großes Reich was zerfallen und kein einziges Denkmal stand mehr an den Straßen oder in den Städten. Der Reis aber, dessen Anbau der jüngere Bruder gelehrt hatte, wuchs auf allen Feldern und verkündete mit seinem Namen den Ruhm des Prinzen.