… wenn jede Woche mit Bauchschmerzen anfängt
Artikel von der Journalistin und Autorin Martina Peters, erschienen im Lehrlingsmagazin handfest
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Sonntagabend. Katja*(23) hat Magenschmerzen. Wie jeden Sonntag. Die übliche Panik vor Montag. Wie jede Woche. Morgen geht die Hölle wieder los. Wie immer. Böse Blicke vom Ausbilder, Wutausbrüche, fiese Beschimpfungen, miese Stimmung im Betrieb. Katja würde am liebsten alles schmeißen. Dabei hat ihr die Lehre als Hörgeräteakustikerin echt Spaß gemacht. Am Anfang wenigstens. Bis dieses Mobbing begann …
Mobbing – was genau ist denn das nun eigentlich? Schon der alte Schiller schrieb in seinem Wilhelm Tell: "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt." Was uns sagt: Mobbing ist kein neuer Trend. Es kommt in Familien vor, im Kindergarten, in der Schule, im Job. "to mob" bedeutet soviel wie "anpöbeln, bedrängen".
(*Name von der Redaktion geändert)
Am Anfang ist "nur" ein blöder Spruch …
Katja hat ihre Situation anfangs nicht gleich als Mobbing eingeschätzt. "Es fing damit an, dass mein Ausbilder einfach ständig schlechte Laune hatte", erinnert sich Katja. "Er hat mich halt immer direkt immer so angeblafft, so dass ich mich nie getraut habe, etwas zu fragen. Aber ich hab mir gesagt: Na ja, nun leg mal nicht alles auf die Goldwaage, vielleicht bist du auch etwas empfindlich, Lehrjahre sind keine Herrenjahre, da musst du eben durch."
Ihre anfängliche Vorsicht war nicht grundsätzlich falsch. Denn ein dummer Spruch oder wiederholtes Anmeckern, wenn auch vielleicht im falschen Ton, das ist noch kein Mobbing. Erst wenn das gelegentliche Anblaffen zum Dauerstress wird, ist die Mobbing-Situation eindeutig. "Mobbing-Papst" Professor Heinz Leymann definiert: "Mobbing sind negative kommunikative Handlungen, die gegen eine unterlegene Person gerichtet sind, die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer ausdrücklich kennzeichnen". Einfacher: Psychoterror pur.
Und der beginnt schleichend. Betriebsärzte, Personalräte und Gewerkschafter beobachten einen fast immer ähnlichen Verlauf: In der ersten Mobbing-Phase baut sich – oft aus einer Banalität heraus – ein Konflikt auf. Wenn die Beteiligten an diesem Punkt miteinander reden würden, könnte Mobbing schon vermieden werden. Leider ist das aber meist nicht der Fall. Schnell gerät der Betroffene in die zweite Mobbingphase und wird zum Außenseiter, nämlich dann, wenn sich die Mobbing-Situationen häufen.
"Stell dich nicht so an…"
Das Selbstvertrauen des Opfers ist jetzt bereits empfindlich gestört, es rutscht fast automatisch in eine ständige Verteidigungsrolle, wird misstrauisch und verliert sein Ansehen am Arbeitsplatz. Aus der Stichelei wird langsam, aber sicher Psychoterror.
Die 23-jährige Silke*, die eine Ausbildung zur Bürokauffrau in einer Großbäckerei machte, musste sich von ihrer Abteilungsleiterin Sprüche anhören wie: "Du machst das, was ich dir sage. Und wenn ich sage, geh die Straße fegen, dann gehst du die Straße fegen. Basta." Selbst ihre Azubi-Kollegen riefen sie "Schlampe", einer stieß sie sogar fast die Kellertreppe hinunter. Später sprachen sie nicht mehr mit ihr. Silkes Gespräch mit der Abteilungsleiterin brachte auch nichts. "Stell dich nicht an wie im Kindergarten …" antwortete die nur. Selbst von der Betriebsratsfrau erhielt sie letztendlich keine Unterstützung.
Wenn das Mobbing öffentlich wird – in der dritten Phase – ist es für die meisten Gemobbten schon zu spät. Sie sind psychisch angeschlagen, verhalten sich daraufhin falsch, bringen nicht mehr die erwartete Leistung und liefern damit noch mehr Ansatzpunkte zur Kritik. Wenn auch die Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz innerhalb des Betriebes nichts nützt oder gar nicht möglich ist, tritt die vierte Mobbing-Phase ein: Die Gemobbten geben auf, schmeißen den Job, oder der Chef findet einen Grund, ihnen zu kündigen.
Mobbing-Forscher haben typische Mobbing-Handlungen beobachtet, die immer wieder eintreten: Jemand wird über längere Zeit hinweg ständig angegriffen, kritisiert, ihm werden Aufgaben zugeteilt, für die er eindeutig über- oder unterfordert ist, er wird beschimpft, bedroht, gedemütigt, gequält, sexuell belästigt oder wie Luft behandelt.
Wie Katja im Hörakustiker-Betrieb. Zum Anblaffen kamen angsteinflößende Blicke ihres Ausbilders und diskriminierende Sätze wie "Wie blöd bist du eigentlich?" oder "Du kapierst es eh nicht!". Katja verzweifelte langsam. Als sie um ein Dreiergespräch mit Ausbilder und Chefin bat, warf ihr der Ausbilder nur "Desinteresse" vor, sie dramatisiere die Lage und schaukle alles absichtlich hoch. Und die Chefin glaubte ihr nicht.
Wie kommt es immer wieder zu dieser Eskalation? Nun, insgesamt sind die Ursachen von Mobbing ebenso vielschichtig wie die Mobbing-Methoden. Schlechte Arbeitsbedingungen und monotone Arbeitsprozesse, und Konkurrenz können genauso ein Grund sein wie unsensibles und inkompetentes Führungsverhalten von Vorgesetzten. Bei Auszubildenden ist häufig der Zeitdruck ein weiteres Problem. Peter Maaser, Ausbildungscoach der Handwerkskammer Düsseldorf weiß aus Erfahrung: "Gerade junge Menschen in der Lernphase kommen oft mit dem Tempo im Team nicht mit und geraten dadurch zunehmend unter Druck."
(*Name von der Redaktion geändert)
Wer mobbt wen?
Was sind das denn nun eigentlich für Typen – Mobber? Der Berliner Diplompsychologe Jürgen Hesse hat mehrere Bücher zum Thema geschrieben und ist sich sicher: "Keiner mobbt wirklich gern." Das heißt, Mobber geraten oft selbst durch eine "unglückliche" Situation in diese Rolle, waren vielleicht schon mal "Opfer", werden aus Rache "Täter". Was natürlich keine Entschuldigung für sie ist. Als Mobber sind sie entweder Intrigranten, Karrieretypen, die keinen neben sich dulden, Neider, Tyrannen, Leute, die Angst um ihren Job haben, Profilneurotiker, Frustrierte, Mitläufer und und und … oder gleich von jedem etwas.
Und wer sind die Opfer?
Hier gibt es ebenso wenig ein einheitliches Bild. Udo Hanselmann, Referatsleiter des Angestelltensekretariats des DGB beobachtete als Betroffene häufig "Frauen in Männerpositionen, Behinderte und Alleinerziehende". Peter Maaser hat, wie auch der Berliner Ausbildungsberater Manfred Löbl die Erfahrung gemacht: "Oft sind es nur reine Äußerlichkeiten. Da ist einer besonders dick oder besonders dünn, oder Ausländer mit anderer Hautfarbe, damit geht’s dann schon los …".
Mobbing kann jeden treffen und es ist ein Teufelskreis, aus dem sich viele mit eigener Kraft nicht mehr befreien können. In Deutschland gibt es laut Schätzungen rund 1,5 Millionen Mobbing-Opfer, der wirtschaftliche Scha-den durch Fehlzeiten, Fluktuation der Mitarbeiter und Minderleistung des Betroffenen wird auf etwa 100 Milliarden Mark geschätzt. Die Opfer stehen jeden Tag unter enormem sozialen Druck, selbst Freunde und Familie können die Story "von dem fiesen" Chef bald nicht mehr hören. Die Folge: Die Gemobbten werden krank. Schlimmer noch die langfristigen Nach-wirkungen: Schweißausbrüche, Erschöpfungszustände, Migräne, Schlaflo-sigkeit, Angstzustände, Magen-Darm-Beschwerden, schwere Kreislauf-probleme und Herzbeschwerden. Dazu kommen psychische Probleme wie Selbstzweifel, Weinkrämpfe, Rastlosigkeit, manchmal schwere Depressio-nen. In einigen Fällen kommt es sogar zum Selbstmord.
Rechtzeitig die Notbremse ziehen …
Soweit kam es bei Katja zum Glück nicht. Sie zog rechtzeitig die Notbremse. Aber auch erst, nachdem sie fast ein Jahr lang "diesen untragbaren Zustand" ausgehalten und unter dauernden Magen-Darm-Beschwerden litt. Schließlich kündigte sie. Das tat auch Silke. Nach fast zwei Jahren Mobbing. Ihr blieb ebenfalls ein nervöses Magenleiden als "Erinnerung" an die abgebrochene Lehre.
Peter Maaser weiß aus jahrelanger Erfahrung: "Leider nehmen die meisten Gemobbten zu spät Hilfe von außen in Anspruch." Mit einem Dreiergespräch zwischen Azubi, Ausbildungsberater und Chef kann die Situation häufig entschärft werden. Außerdem wird den Gemobbten geraten, ein Tagebuch zu führen, in dem sie alle Vorfälle genau aufschreiben und sich zusätzlich emotionale, soziale und moralische Unterstützung von Kollegen, Freunde oder der Familie zu holen. Auch Selbsthilfegruppen, Mobbing-Telefone und zahlreiche Bücher geben Hilfestellung (siehe Liste unten).
Trotz alledem: Ausbildungscoach Maaser macht auch darauf aufmerksam, dass "egal, in welcher Situation, der Betroffene zuerst einmal selbstkritisch sein sollte. Das heißt, sich die Fragen stellen sollte: Was trage ich selbst zur Situation bei? Leiste ich der Situation vielleicht durch irgendetwas Vorschub? Kann ich eventuell Dinge bei mir abstellen, die zum Mobbing führen?" Axel Peters, Mitgliederberater beim DGB drückt dasselbe etwas anders aus: "Das ist doch im Prinzip wie in einer Beziehung oder Ehe. Wenn es Probleme gibt, muss man miteinander sprechen, manchmal eben auch sein Verhalten ändern. Sonst potenziert sich das Ganze."
Katja und Silke haben diese Mobbing-Mühle jetzt hinter sich. Katja setzt ihre Lehre in einem anderen Hörakustiker-Betrieb fort, Silke begann eine neue Ausbildung als Einzelhandelskauffrau. Auch sie raten Betroffenen: "Macht dieses Mobbing bloß nicht solange mit, sondern holt euch Hilfe von außen, wenn Gespräche nichts mehr bringen. Das ist das Allerwichtigste".
WEHR‘ DICH!
such die Aussprache mit dem Mobber, auch wenn’s schwer fällt | |
sprich mit Kollegen, Freunden oder Familie über deine Situation | |
isolier dich nicht | |
vermeide spontane Ausbrüche, die liefern nur Angriffspunkte | |
schalte Lehrlingswart oder Ausbildungsberater ein, wenn du im Betrieb keinen Fürsprecher findest | |
führe ein Mobbing-Tagebuch, in dem du dir genaue Notizen über alle Vorfälle machst | |
stärke dein Selbstbewusstsein durch aktive Freizeitgestaltung | |
versuch gar nicht erst, dir ein dickes Fell zuzulegen, auf Dauer hältst du das nicht durch | |
besorge dir Literatur über Mobbing, wende dich an Selbsthilfegruppen oder an ein Mobbing-Telefon (siehe Liste unten) |
Acht Fragen an Manfred Löbl, Referatsleiter der Ausbildungs- beratung der Handwerkskammer Berlin
Warum werden Auszubildende gemobbt?
Oft sind es Äußerlichkeiten wie Körperfülle oder Kleidung, die zum Stein des Anstoßes werden. Oder die "Chemie" stimmt einfach nicht, wie man heute so schön neudeutsch zu sagen pflegt.
Was raten Sie Auszubildenden, die sich gemobbt fühlen?
Zunächst sollte der Mobber auf die Konfliktsituation hin angesprochen werden. Wenn das nicht fruchtet, ist der Lehrer an der Berufsschule der nächste Ansprechpartner, damit dieser Verbindung zum Ausbilder aufnehmen kann.
Und wenn das nicht fruchtet?
Wenn das keinen Erfolg hat, leisten wir von der Ausbildungsberatung Hilfestellung.
Das heißt?
Wir befragen den Auszubildenden und organisieren ein Dreier-Gespräch mit Lehrling, Ausbilder und Berater. Danach versuchen es die beiden noch mal miteinander.
Nehmen Sie nach einem solchen Gespräch später noch mal Kontakt zu dem Auszubildenden auf?
Ja, natürlich. Wir setzen eine Nachfrist von sechs Wochen. Dann wird im Betrieb nachgehakt. Hat sich die Situation entschärft? Ist der Auszubildende jetzt zufrieden? Hat sich das Verhältnis zum Ausbilder gebessert?
Was machen Sie, wenn das nicht der Fall ist?
Wenn keine Veränderung eingetreten ist, bemühen wir uns zusammen mit dem Ausbilder um eine Auflösung des Ausbildungsvertrages.
Und der Auszubildende steht dann erst mal ohne Lehrstelle da?
Nein, wir sind natürlich bei der Suche nach einem Anschluss-Ausbildungsverhältnis behilflich.
Haben Auszubildende, die den Betrieb wegen Mobbing wechseln, nicht von vornherein schlechte Karten?
Nein, diese Erfahrung haben wir bisher nicht gemacht. Manche Menschen kommen eben einfach nicht miteinander klar. In einer neuen Konstellation läuft meistens alles problemlos ab.
Wo ihr Hilfe bekommt:
Zum Lesen:
Birgit Rupprecht-Stroell: Mobbing – nicht mit mir Wirtschaftsverlag Langen Müller/Herbig, 29,90 DM | |
Gabriele Haben/Anette Harms-Böttcher Das Hamsterrad Orlanda-Frauenverlag, 19,80 DM (Mobbing – Frauen steigen aus) | |
Trude Ausfelder Mobbing. Konflikte am Arbeitsplatz erkennen, offen legen und lösen, Heyne-Verlag München 2001, 14,90 DM | |
Wöbken-Ekert, G.: Vor der Pause habe ich richtig Angst Gewalt und Mobbing unter Jugendlichen und was man dagegen tun kann. Frankfurt, Campus-Verlag 1998 | |
Leymann, Heinz: Mobbing. Psychoterror am Arbeitsplatz. Rowohlt, Reinbek 1993 | |
Axel Esser, Martin Wolmerath: Mobbing. Der Ratgeber für Betroffene und ihre Interessenvertretung. Bund-Vlg., Köln 1999 | |
Bernd Zuschlag Mobbing: Schikane am Arbeitsplatz Verlag für Angewandte Psychologie, Göttingen 1994 Der neue Mobbing-Bericht Rororo, 14,90 DM | |
Bettina Mainberger Jede Menge Zoff DTV, München 2000, 17,50 DM (Mobbing unter Jugendlichen) | |
Dietz, Karlheinz: Meine Rechte als Arbeitnehmer WRS 1999, 29,80 DM (leicht verständliche Tipps in Rechtsfragen) | |
Christine Beckers und Hanne Mertz: Mobbing-Opfer sind nicht wehrlos Herder 1998, 16,80 DM (konkreter Ratgeber zur Selbsthilfe) |
Zum Surfen:
www.sozialnetz-hessen.de/mobbing Literaturliste, Adressen, Infos zu Mobbing und Burnout, Rat für Betroffene, rechtliche Möglichkeiten, offene Sprechstunde im Netz Mi 18-20 Uhr! | |
www.mobbing-zentrale.de Beispiele für Mobbing-Tagebuch, Mobbing-Arbeitsgerichtstermine, Urteile + Texte, Literaturliste, Chat | |
www.mobbingwerkstatt.de humorvolle, aber informative Seite von Gaby Ziegler, Mobbing-Tagebuch-Beispiel, links und Hilfsadressen, Seite für Betroffenen-Berichte | |
www.dgb.de/themen/mobbing_09.htm Bundesweite Liste von Mobbing-Selbsthilfe-Gruppen | |
www.next-line.de/next-line/archiv/next02_01.html Knapp gefasste Seite mit Infos über Mobbing | |
www.kbibk2.ac.at/kbibk2/ergonomie/artikel/25/arbeitleben.htm Seite einer österreichischen Berufsschule in Innsbruck, viele Artikel, Infos und ein Interview zum Thema Mobbing |
Zum Anrufen:
Netzwerk der Mobbing-Selbsthilfegruppen Fon 06136 – 760 88 35 | |
Verein gegen psychosozialen Stress und Mobbing e.V. Fon 0611 – 957 03 81 | |
Bundesarbeitsgemeinschaft gegen Mobbing (BAM) Fon 02305 – 323 28 | |
DGB-Angestellen-Sekretariat Fon 0211 – 4301-327 |