8 Jahre war Rajan nun schon alt und er denkt mit Schrecken daran, dass es nun schon wieder Winter wird. Er hasst den Winter wegen der Kälte. Und im Winter gibt es auch keine Arbeit
Ja, du hast richtig gehört – Rajan arbeitet wie ein Erwachsener und hat nie einen Kindergarten oder eine Schule besucht. Er weiß nicht einmal, dass es so etwas wie Kindergarten oder Schule gibt.
Rajan wohnt mit seinen fünf Geschwistern und seiner Mutter in Rumänien. Er weiß, dass er auch einen Vater hat, den hat er aber noch nie gesehen.
Seine Mutter ist oft traurig. Sie möchte, dass es Rajan und seinen Geschwistern gut geht – aber sie kann ihm keine richtige Kindheit bieten. Wenn Rajan nicht in der Fabrik – wie sein Bruder – als Hilfsjunge arbeiten würde, dann hätte die Familie nicht mal genug zu essen.
Die Familie von Rajan hält ganz fest zusammen und ist trotz der armen Verhältnisse auch oft glücklich. Sie erzählen sich Geschichten und spielen mit selbstgebastelten Würfeln, Puppen und Karten.
Eine Sache im Winter gefällt Rajan aber doch. Weihnachten. An Weihnachten geht Rajan nicht arbeiten. Jedes Jahr schafft es seine Mutter, ein ganz besonderes Essen zu kochen und sie erzählt ganz tolle Geschichten. Die Geschichte von Jesus kennt Rajan gut – aber seine Mutter erzählt auch noch viele andere schöne Geschichten.
Zwei Tage vor Weihnachten geschah etwas, was Rajan nie vergessen wird. Seine ganze Familie ging zu einer nahe gelegenen Sporthalle und dort kamen zwei Laster angefahren, die komplett mit bunten, kleinen Paketen beladen waren. Zu seiner großen Überraschung erhielten Rajan und alle seine Geschwister eines der kleinen bunten Pakete.
So etwas hatte er noch nie gesehen. Das Paket war eingewickelt in ganz glattes, rotes Papier. Es sah aus wie bemalt, kleine Sterne und Schneeflocken waren darauf. Das Paket alleine schon war ein kleines Wunder.
Als Rajan dann aber den Deckel öffnete konnte er nicht glauben was er da alles fand. Sofort kam ihm der große, grüne Spielzeugtraktor entgegen. Staunend hob er den Traktor hoch und betrachtete ihn von allen Seiten. Dann kamen aus dem Paket noch ein Malbuch und dazu passend bunte Stifte. Außerdem fand er einige Süßigkeiten und eine Zahnbürste, Zahnpasta, Seife und noch andere Dinge.
Rajan schaute seine Mutter fragend an. Und als sie ihm mit Tränen in den Augen bestätigte, dass all die Sachen für ihn alleine waren und alle seine Geschwister ähnliche Pakete erhalten hatten, lächelte Rajan und nahm sein Paket richtig in den Arm. So etwas Schönes hatte er noch nie bekommen.
Natürlich putzte sich Rajan schon immer die Zähne – aber er benutzte dazu eine Zahnbürste, die er schon seit Jahren hatte. Zahnpaste hatten sie nicht – die Familie verwendete zum Zähneputzen normale Seife. Und richtiges Spielzeug hatten die Kinder in Rajans Familie noch nie besessen.
Ganz unten in seinem Paket fand er dann noch ein Bild von einem gleichaltrigen Jungen, der ihn fröhlich anlächelte. Dieser Junge hatte ihm das tolle Paket geschickt.
An diesem Abend und an vielen der folgenden langen Winterabende musste Rajans Mutter die Geschichte dieser Weihnachtspakete erzählen. Rajan erfuhr, dass es gar nicht weit weg von ihm eine ganz andere Welt gab. Eine Welt in der die Kinder nicht arbeiteten und sich keine Sorgen über Essen und Kleidung machen mussten. Diese Kinder gehen in den Kindergarten oder in eine Schule und lernen dort wichtige Dinge.
Die Kinder dort bekommen immer wieder neue Kleider und auch Schuhe. Die Schuhe sind in kleinen Paketen verpackt – genau solche Pakete wie er eines erhalten hatte. Normalerweise werden diese Kartons weggeworfen aber es gibt eine Ausnahme.
An Weihnachten wird in vielen Kindergärten und Schulen in diesem Land, das Deutschland heißt, an die Kinder gedacht, denen es nicht so gut geht – so wie Rajan. Und die Kinder in Deutschland gehen mit Ihren Eltern einkaufen und packen Päckchen – dazu benutzen Sie die Schuhkartons. Daher heißt die Aktion auch „Weihnachten im Schuhkarton“. Die ganzen Päckchen werden gesammelt und mit großen Lastern zu den Kindern gebracht.
Neben der reinen Freude über die Geschenke ist Rajan aber auch sehr nachdenklich geworden. Er hat bisher nicht gewusst, dass es solche Unterschiede zwischen den Ländern auf der Welt gibt. Seine Mutter hat ihm sogar erzählt, dass es Kinder gibt, denen es noch viel schlechter geht als ihm!
Rajan hat sich fest vorgenommen etwas zu ändern. Er hat mit seiner Mutter besprochen, dass er auch etwas Richtiges lernen muss. Lesen, Schreiben, Rechnen und solche Dinge. Seine Mutter hat etwas geweint, weil Rajan schon so erwachsen wirkt. Dann aber hat sie ihren Sohn in die Arme genommen und sie hat gespürt, dass sie einen sehr klugen Sohn hat. Sie ist sich sicher, dass Rajan aus seinem Leben etwas machen wird. Denn ob ein Mensch klug ist oder nicht, ob ein Kind Spaß am Lernen hat und die Welt für sich entdecken und erobern will hat nichts mit Armut oder Reichtum zu tun, sondern mehr damit, ob jemand ein großes und tapferes Herz und eine Familie und Freunde mit denen man das Leben ändern und verbessern kann. Rajan hat sich dies fest vorgenommen.
geschrieben von Wilfried Schön