Vor gaaaanz langer Zeit hatte die Giraffe genau solch einen kurzen Hals wie alle anderen Tiere in Afrika. Sie knabberte nur unten an den Bäumen die Blätter ab, wie viele andere Antilopen. Auch die Beine waren viel kürzer. Es war eben ein ganz normales Tier und unterschied sich nur durch das fleckige Fell.
Eines Tages wurde der Giraffenmama ein besonders neugieriges Kind geboren. Diese junge Giraffe wollte einfach alles wissen: „Warum will der Löwe uns fressen?“ „Warum hat der Kudu solche gedrehten Hörner und die Oryxantilope solche spitzen Spieße?“ „Warum fressen wir Blätter und kein Gras?“
So ging es den ganzen Tag. Die arme Giraffenmama wusste schon gar nicht mehr, WIE sie alle Fragen beantworten sollte. Sie seufzte nur noch verzweifelt: „Wie kann man nur so viele dumme Fragen stellen!“
Die Giraffentanten dagegen liefen immer schnell weg, damit das kleine neugierige Giraffenkind ihnen nicht die tausend Fragen stellte. Da wurde das kleine Giraffenkind sehr traurig. Es ließ den Kopf hängen und lief betrübt in den Busch hinein.
Plötzlich sah es ein riesengroßes Tier mit einer langen Nase, eine Nase so lang, dass sie bis auf den Boden schlenkerte.
„Warum hast du solch eine lange Nase und warum bist du so groß?“ fragte das neugierige Giraffenkind. Der Elefant, so hieß das Tier mit der langen Nase, packte die Giraffe mit dem Rüssel am Ohr und zupfte es: „Frag nicht so dumm und lass mich in Ruhe!“ brummte der graue Riese.
Das Giraffenkind erschrak und lief schnell weiter. Bald begegneten ihm seltsame Tiere, die in einem Baum herumkletterten. „Warum klettert ihr auf dem Baum und warum habt ihr so komische Fingerbeine?“
Da sprang ihm ein Kletteraffe, ein Pavian war es, auf den Rücken und hielt sich an den Ohren fest und zupfte sie kräftig: „Du bist ganz schön frech! Und du stellst dumme Fragen!“ schimpfte der Affe. Dann sprang er herunter und die kleine Giraffe war froh, als sie den unbequemen Reiter los war. „Keiner von den Erwachsenen hat Zeit,“ seufzte die kleine Giraffe traurig. „Sie sagen alle nur, dass meine Fragen dumm sind. Dabei will ich doch nur alles lernen!“
Die kleine Giraffe schaute gar nicht, wohin sie lief. Plötzlich hörte sie seltsame Laute, die sie noch nie gehört hatte. „Was sucht denn eine Giraffe hier auf der Landebahn?“ fragten seltsame Tiere, die auf zwei Beinen liefen und bunte Felle anhatten. „Die hat sich wohl ganz schön verlaufen.“
Die kleine Giraffe blieb stehen, und schaute sich diese fremden Wesen neugierig an. Vor Staunen fiel ihr keine Frage ein, aber die seltsamen Wesen hätten die Giraffensprache bestimmt sowieso nicht verstanden, denn es waren Menschen.
„Wie bekommen wir die Giraffe bloß zurück zu ihrer Herde. Ob wir sie mit dem Hubschrauber transportieren können? Man müsste ihr dann einen Ledergurt umlegen, mit der wir sie hochheben können,“ unterhielten sich die Männer.
Die Giraffe hielt ganz still und staunte, als ihr ein Ledergürtel umgeschnallt wurde. Vorsichtig hob sich der Hubschrauber in die Höhe. Die Giraffe wunderte sich und streckte die Beine immer länger nach unten, damit sie bloß nicht den Boden unter den Füßen verlor.
Endlich ging es nicht mehr weiter und die Giraffe schwebte in der Luft. Der Hubschrauber machte eine Drehung und flog über die Bäume in die Wildnis. Bei der Drehung verrutschte – oh Schreck! – der Gürtel. Fast wäre die Giraffe abgestürzt, aber zum Glück verfing sich der Gürtel am Kopf.
Und was passierte da? Der Kopf zog sich langsam vom Körper weg und der Hals wurde lang und länger. Der Pilot merkte es gar nicht, denn er schaute nur, ob er die Giraffenfamilie finden könnte. Als er die Tiere mit dem gefleckten Fell sichtete, flog er tiefer und drehte wieder, damit er landen könnte.
Da rutschte der Gürtel ganz ab, aber die Giraffe landete auf den langen Beinen und schaute weit über die Bäume dem Piloten fast ins Gesicht. Der Pilot machte mit dem Hubschrauber vor Schreck beinahe einen Purzelbaum.
Schnell flog er wieder zum Flugplatz zurück. Und die kleine Giraffe? Die war jetzt gar nicht mehr klein, sondern hatte laaaange Beine und einen gaaaaanz langen Hals. Sie knabberte oben am Akazienbaum die saftigsten Blätter.
„Seht ihr?“ sagte die nun große Giraffe und guckte auf ihre Familie hinunter. „Wenn man neugierig ist und alles wissen möchte, dann wird man irgendwann größer als die Kinder, die nichts lernen möchten. Ich kann jetzt alles sehen, auch den hungrigen Löwen. Ich kann schnell laufen und ich bin besser als alle dummen Giraffen.“
Da guckten sich die anderen Giraffen erst ziemlich blöd an. Dann zogen und hoben sie sich und halfen einander, bis sie auch über die Bäume gucken konnten. Sie reckten ihre Hälse, damit sie an die obersten Blätter knabbern konnten, und sie streckten die Beine, damit sie noch höher wurden.
Ja, und nur wegen der kleinen neugierigen Giraffe haben wir heute große und schlaue Giraffen.
geschrieben von Elke E. Lang